Die HV beim World Humanist Congress 2023 in Kopenhagen

von links: Andrew Copson (Präsident humanists.international),Arne Lund (HV), Kirstine Kaern, Lone Ree Milkaer (beidehumanistisksamfund), Petra Schmidt (HV)

Humanist*innen aus der ganzen Welt sind im August nach Dänemark gekommen, um sich über Humanismus, Demokratie und soziale Verantwortung auszutauschen. Mit dabei waren auch vier Vertreter*innen der Humanistischen Vereinigung.

Neun Jahre lag der letzte ordentliche Weltkongress der Humanisten zurück, damals in Oxford. Seitdem konnte u.a. aufgrund der Corona-Pandemie der übliche dreijährige Turnus nicht eingehalten werden. Anfang August dieses Jahres war es dann endlich wieder soweit, Humanist*innen aus aller Welt, genauer gesagt rund 400 Delegierte von Mitgliedsvereinigungen und Einzelmitglieder der Humanists International aus 43 Ländern kamen in Kopenhagen zusammen, um sich über ihre gemeinsamen Werte und diverse Herausforderungen auszutauschen, von Best Practices der anderen zu lernen und sich seit langem wieder persönlich zu begegnen, Verbindungen zu knüpfen und zu festigen. Für die Humanistische Vereinigung waren Vizepräsidentin Regine Steib aus Nürnberg, Petra Schmidt und Arne Lund aus Hamburg sowie Lutz Renken aus Oldenburg vor Ort.

Soziales Vorprogramm

Vertreter*innen der Humanistischen Vereinigungen der nordischen Länder Island, Finnland, Schweden, Norwegen und allen voran natürlich Gastgeber Dänemark hatten nicht nur den Kongress organisiert, sondern auch ein Programm auf die Beine gestellt, mit dem Früh-Angereiste belohnt wurden. Es beinhaltete Führungen von Stätten mit geschichtlicher Relevanz für humanistische Werte, wie die autonome, basisdemokratische Siedlung „Freistadt Christiania“, das Arbeitermuseum, eine historische LGBTQ+-Stadtführung, sowie diverse Social Dining-Gelegenheiten.
Am Tag vor dem offiziellen Kongressbeginn im Scandic Copenhagen luden die European Humanist Professionals (EHP) zu einem Tag mit praktischen Workshops, Vorstellung von Best Practices in den Bereichen Bildung und Erziehung, Lebensfeiern, sowie Seelsorge und Beratung im Kulturzentrum ‚Kulturhuset Union‘. Es war ein sehr praxisorientierter und persönlicher Auftakt für den dann folgenden Kongress.

Aufbau besserer Demokratien mithilfe Humanistischer Werte

Der Kongress stand unter dem Motto “Building Better Democracies Through Humanist Values”. Das Programm kann hier im Detail nachgelesen werden, z.T. stehen Skripte und Präsentationen zum Download zur Verfügung.
Insbesondere die Veranstaltungen an den Vormittagen, bei denen alle Teilnehmenden im Plenarsaal zusammenkamen, vermittelten die theoretischen Grundlagen und beschrieben die Lage und damit die globalen Herausforderungen der Demokratie(n) und des Humanismus.
So gaben die in Kopenhagen geborene, britische Schriftstellerin, Komikerin, Fernsehmoderatorin und Humanistin Sandi Toksvig, der ehemalige norwegische Ministerpräsident, Generalsekretär des Europarates und Vorsitzender des Nobelkomitees Thorbjørn Jagland und nicht zuletzt der Präsident der Humanists Internaltional, Andrew Copson, inspirierende Ansprachen zur Eröffnung am Freitag.
In ihren Reden, die den Bogen von humorvollen, autobiografisch begründeten Einsichten bis hin zu global-politischen Erfahrungen spannten, machten sie den Teilnehmenden deutlich, wie wertvoll und unabkömmlich die Arbeit und der Einsatz für Demokratie und humanistische Werte ist. Diese Motivation teilten sie mit allen weiteren Rednerinnen und Rednern und Teilnehmenden im Verlauf der folgenden Tage.

Bedrohungen der Demokratie

Die erste Keynote-Rede, die zugleich die sozialphilosophische Grundlage des Kongresses darstellen sollte, wurde von der schwedischen Politikwissenschaftlerin und Philosophin Prof. Sofia Näsström präsentiert. Sie sieht, ganz grundsätzlich, gegenwärtig den Geist der Demokratie bedroht und auf dem Rückzug. Dieser Geist muss, so sagt sie, durch Gesetze, Institutionen und politische Maßnahmen gefördert und von den Menschen aktiv gelebt und gefordert werden, damit eine Demokratie über die Zeit bestehen kann. Dieser Geist der Demokratie sei die Emanzipation. Das erinnert zwar ein wenig an das Böckenförde-Diktum, geht aber darüber hinaus und weist gerade Humanist*innen eine besondere Verantwortung zu.

Hierzu Näsström in ihrem Vortrag:

„Was meine ich mit Emanzipation? In diesem Kontext möchte ich zwei Aspekte des Emanzipationsgedankens hervorheben: Erstens, mit dem Wegfall äußerer Garantien in politischen Angelegenheiten - göttliche, natürliche und historische - entsteht eine grundlegende Unsicherheit über die Zukunft, und in einer Demokratie zähmen "wir, das Volk" diese Unsicherheit, indem wir sie gleichmäßig verteilen; sowohl die Freiheit, die sich aus diesem Wegfall ergibt, als auch die Verantwortung, die er mit sich bringt. Dadurch emanzipieren wir uns aus einem Zustand der selbstverschuldeten Unmündigkeit, das heißt, wir emanzipieren uns davon, dass der grundlegende Sinn und die Richtung der Gesellschaft von außen für uns festgelegt werden. Zweitens öffnet der so verstandene Geist der Emanzipation die Möglichkeit, den Sinn und die Richtung der Gesellschaft zu verändern. In einer Demokratie nehmen wir uns die Freiheit, zu scheitern in unseren Urteilen und Entscheidungen und von neuem zu beginnen. Oder anders ausgedrückt: Angesichts einer unsicheren Zukunft gewähren wir uns das Recht, Mensch zu sein.“

An genau diesem Punkt treffen sich Demokratie und Humanismus: Ihre gemeinsame Grundlage ist eben dieser emanzipatorische Geist, unsere Motivation.

Gemeinsame Werte, globale und differenzierte Herausforderungen

Nach dieser inspirierenden Eröffnung und der philosophisch-theoretischen Grundlage ging es dann auch schon in die Tiefen des Konkreten, nämlich der unterschiedlichen Herausforderungen, Lösungsansätze und Praktiken der Organisationen weltweit.
Im Folgenden eine Auswahl an Themen, die im Plenum vorgestellt und diskutiert wurden:
Unter der Überschrift “Über Demokratie und Humanismus“ stellten Vertreter*innen humanistischer Organisationen aus Malawi, Indien und den USA die enge Verknüpfung von und Herausforderungen für Demokratie und Humanismus in der politischen Realität ihrer Länder vor. Noch konkreter wurde es, als Geschäftsführerin der ukrainischen Menschenrechtsorganisation und Trägerin des Friedensnobelpreises „Center for Civil Liberties“, Oleksandra Romantsova, schilderte, wie die Organisation Kriegsverbrechen aufklärt. Sie rief dazu auf, die ukrainische Demokratie nach dem Krieg wiederaufzubauen und zu stärken. Im Anschluss zeigte Remus Cernea, humanistischer Aktivist und Kriegsreporter in der Ukraine für die rumänische Ausgabe der Newsweek, seinen journalistischen und persönlichen Blick auf das Geschehen vor Ort. Allein für diese Beiträge lohnt sich ein Blick in die Aufzeichnungen, die unter www.whc2023.com/program zugänglich sind.
Die Plenumsvorträge am Sonntag befassten mit dem Grundrecht der Religions- und Glaubensfreiheit (Freedom of Religion and Belief [FoRB]). Die iranische Menschenrechtsexpertin und UN-Sonderberichterstatterin für diesen Bereich, Nazila Ghanea, und Abid Raja, Vorsitzender und Gründungsmitglied des „International Panel of Parliamentarians for Freedom of Religion or Belief“ (IPPFoRB), zeichneten ein Bild von der aktuellen Lage, die global eher schwieriger als besser wird für Demokratie und Menschenrechte.
Auch der aktuelle, 11. „Freedom of Thought Report“ der Humanists International, der erneut einen globalen Überblick über die Säkularität und Achtung der Grundrechte von Atheist*innen und Humanist*innen bietet, weist in diese Richtung.  Umso wichtiger bleibt das Engagement einer möglichst breiten Koalition von Organisationen und Einzelpersonen.

Parallele Sitzungen und Workshops

Noch konkreter und auch persönlicher wurde es an den Nachmittagen in den parallel stattfindenden Veranstaltungen. Stellvertretend seien folgende Themen genannt: Warum sorgen sich Humanist*innen nicht mehr um den Klimawandel? - Vorstellung der „Digital Humanism Initiative“ – Die Regenbogen-Koalition – Wie die Todesstrafe im Iran zur Unterdrückung von Atheismus und freier Rede führt – Dialog der Weltanschauungen als Werkzeug der Demokratie – Fallstudien des Rückzugs der Demokratie.
Nicht unerwähnt bleiben darf die „Resident Artist“ des Kongresses, Victoria Gugenheim, die mit ihren Body-Paintings zeigt, dass Kunst als ganz persönlicher Ausdruck der Meinungsfreiheit ein kraftvolles Zeichen im Kampf für Demokratie und humanistische Werte sein kann.
Neben dieser Vielzahl von Veranstaltungen konnten die Teilnehmenden in den Essens- und Kaffeepausen sich an Poster-Ausstellungen über die Arbeit vieler Initiativen informieren und mit deren Vertreter*innen ins Gespräch kommen. Solche Gespräche, Austausch und Networking wurden durch den gut organisierten abendlichen Empfang im Rathaus und das Kongress-Dinner am letzten Abend geradezu „entfacht“. Letztlich macht es so einen Kongress aus, dass man sich als Mensch unter Menschen erfährt, die Werte und Ziele teilen, und sich durch persönliche Verbindungen gegenseitig unterstützen und stärken. Idealerweise läuft dieser Austausch auch in der Zeit bis zum nächsten Welt-Humanisten-Kongress, der 2026 in Washington, DC, von den American Atheists ausgerichtet werden wird.

Stützung der Demokratie(n): drängende Aktualität und überfällige Selbstverpflichtung

Mit dem Motto „Building Better Democracies through Humanist Values“ sollte von dem Kongress in Kopenhagen ein Signal ausgehen, dass in den nächsten drei Jahren die Stützung und Förderung demokratischer Entwicklungen ein Hauptschwerpunkt der Arbeit humanistischer Vereinigungen weltweit sein wird.
Dass es sich hierbei um eine globale Herausforderung handelt, zeigen die internationalen Ambitionen und Querverbindungen der Feinde der Demokratie und der Menschenrechte. Die erfolgreiche Einflussnahme einiger US-amerikanischer evangelikaler Lobbyisten für die Einführung inhumaner Anti-Gay-Gesetze in Uganda und der Jagd auf Homosexuelle ist da nur ein prominentes Beispiel unter vielen. Dies ist ein Grund mehr für westliche, vermeintlich vorbildliche Gesellschaften, die Gefährdung ihrer Demokratien auch bei sich zuhause ernst zu nehmen.
So zeigen die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der Körber-Stiftung eine kritische Entwicklung des Vertrauens in die Demokratie, ihre Institutionen und Akteure in Deutschland. Hatten im Herbst 2021 noch 30 % der Befragten weniger großes oder geringes Vertrauen in die deutsche Demokratie, so sind es 2023 bereits über 54 %. Ähnlich sieht es mit dem Vertrauen in die deutschen Parteien aus: 2020 vertrauten ihnen noch 29 %, 2023 nur noch ganze 9 %. Immerhin sind 9 von 10 Befragten die demokratischen Werte wichtig, wie Leben in Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie und geheime Wahlen.
„Ohne Zivilkultur, ohne eine alltägliche Praxis, die von Toleranz, Respekt und Kooperationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger getragen ist, erodiert die Demokratie. Eine demokratische Bürgerschaft ist mehr als die bloße Addition von Individual- oder Gruppeninteressen. Sie konstituiert sich durch die Bereitschaft, sich an dem zu orientieren, was für die Bürgerschaft als Ganze gut ist. Ohne Gemeinwohlorientierung keine demokratische Praxis.“ sagt Julian Nida-Rümelin, Philosoph und Staatsminister a. D. und Autor der Studie der Körber-Stiftung zur Rolle der Zivilkultur in der Demokratie.
Auf dem Kongress in Kopenhagen wurde sehr deutlich, dass Deutschland in dieser Entwicklung nicht allein dasteht.

Am letzten Tag des Kongresses wurde, auch unter Mitarbeit der Vertreter*innen der Humanistischen Vereinigung, die folgende Erklärung verabschiedet und mit ihr auch eine Selbstverpflichtung der humanistischen Organisationen geäußert, sich für eine Stärkung demokratischer Werte und Praxis einzusetzen.

 

Kopenhagener Erklärung zur Demokratie: ein humanistischer Wert

(Übersetzung aus dem Englischen)

 

Menschen sind soziale Tiere, die durch Evolution und Kultur geformt wurden und mit anderen in Gesellschaft zusammenzuleben.
Damit eine Gesellschaft funktioniert, benötigt sie Normen, Gesetze und Regeln. Im Wandel der Gesellschaft müssen diese stets offen sein gegenüber Herausforderungen und für Anpassungen als Ergebnis eines fortlaufenden ethischen Diskurses und einer rationalen Debatte.
Demokratie, die auf dem Grundsatz der Gleichheit, der Würde und des Rechts jedes Einzelnen auf Teilhabe basiert, ist eine humanistische Form, einen solchen Diskurs und eine solche Debatte zu regeln.
Als Humanist*innen bestehen wir darauf, dass Demokratie ein Grundwert sein soll, der von allen Gesellschaften und Regierungen aufrechterhalten und verteidigt wird. Jeder Mensch soll mit der gleichen Würde und dem gleichen Respekt angehört werden. Demokratische Abläufe bieten ein Gerüst, dass dieser Grundsatz in der Praxis erhalten bleibt. Sie garantieren, dass nirgendwo eine legitime Regierung ohne die wohlinformierte Zustimmung und Partizipation der Regierten existieren kann.
Demokratie ist nicht nur ein politischer Prozess. Mit ihrem Schwerpunkt auf Gleichheit und Partizipation ist die Demokratie ein wirksames Instrument zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, der Menschenwürde und des Gemeinwohls.
Demokratie ist kein statischer Zustand. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, der ständiges Engagement, wohlinformierte Beteiligung und Korrektur erfordert.
Demokratie ist nicht die Tyrannei der Mehrheit. Sie muss mit dem Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und dem Streben für sozialen Fortschritt einhergehen.

Im Lichte dieser Grundsätze bekräftigen wir Folgendes:

  1. Demokratie ist ein universeller Grundwert, der für die Verwirklichung humanistischer Prinzipien weltweit von grundlegender Bedeutung ist.
  2. Die Demokratie muss weitgehend inklusiv, transparent, rechenschaftspflichtig und säkular sein und über Institutionen und Abläufe verfügen, die auf die sich ändernden Bedürfnisse und Bestrebungen der Bürger reagieren.
  3. Die Bürger müssen politisch ermächtigt werden und die Möglichkeit der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte muss vorbehaltlos geschützt werden.
  4. Die Demokratie als Kultur muss offensiv gegen alle Bedrohungen verteidigt werden, einschließlich solcher durch Regimes, Bewegungen und politische Parteien, die sich autoritäre Prinzipien zu eigen machen; gegen Bedrohungen durch diejenigen mit unverantwortlicher wirtschaftlicher und sozialer Macht, sowie gegen Bedrohungen durch alle anderen Kräfte, die versuchen, demokratische Werte und Institutionen zu untergraben.

Wir verpflichten uns dazu, dass wir uns für eine demokratischere Welt einsetzen.
Wir fordern alle Regierungen, Institutionen und Einzelpersonen auf, demokratische Werte als Eckpfeiler der Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit zu wahren und zu schützen.
Wir rufen alle Humanist*innen weltweit auf, sich in Solidarität an die Seite derer zu stellen, die für die Verteidigung und Förderung der Demokratie kämpfen, sowie gemeinsam am Aufbau einer Welt zu arbeiten, in der die Demokratie gedeiht und die Würde und Rechte aller Menschen geschützt werden.

 
(Text und Übersetzung: Lutz Renken, Fotos: Humanistische Vereinigung, Pavel Storozhuk, Magnus Timmerby)

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Alle 3 Möglichkeiten funktionieren zumindest im Internet Explorer und im Mozilla Firefox, die Variante 1. ist auch bei vielen anderen Browsern Standard.